Der aus Freiburg stammende François Gremaud kultiviert die Philosophie der Torheit - Torheit natürlich nicht im Sinn von Dummheit, sondern als Aufforderung zu Wohlwollen und Staunen. Sein gesamtes Theaterschaffen beruht auf der amüsierten Beobachtung des Menschen und einer Wiederverzauberung des Alltags.
Genau dies gelingt dem Regisseur mit einem abgedrehten Vortrag, in dem der hervorragende Schauspieler Romain Daroles Racines berühmte Tragödie «Phädra» erzählt und spielt. Die Königin bedeckt sich in der Tragödie bekanntlich zweifach mit Schmach: Phädra verliebt sich in ihren Stiefsohn - ein Inzest-Verbrechen - und wird darüber hinaus vom jungen und ungestümen Hippolyt nicht zurückgeliebt.
Das in einem schulischen Kontext für 15- bis 20-jährige Jugendliche geschriebene Solo sprüht vor Humor und Lebendigkeit. Romain Daroles zeichnet für jede Figur das mythologische Porträt nach und holt dabei bis zu den göttlichen, geheim gehaltenen Stammbäumen aus. Bereits an dieser Stelle zieht der Schauspieler das Publikum mit Scherzen und pikanten Erklärungen in den Bann. Dann fasst er die fünf Akte des Trauerspiels in rasantem Tempo zusammen, wobei er seine Schilderung mit bewusst anzüglichen Wortspielen durchsetzt. Damit hat Daroles sowohl das jugendliche als auch das erwachsene Publikum in der Tasche. Schliesslich interpretiert er Auszüge aus der Tragödie, darunter zahlreiche Dialoge zwischen Phädra und ihrer Amme oder spannungsgeladene Direktbegegnungen zwischen der Königin und ihrem Stiefsohn, wobei die deklamierten Alexandriner wie Honig in die Ohren fliessen.
Da Romain Daroles allein spielt, verwendet er zur Bezeichnung der Protagonisten eine Reihe visueller Codes, wobei er sich ganz unverschämt seines Racine bedient. So hält der Schauspieler das Buch für Phädra wie eine Krone über den Kopf. Für Hippolyt wird das Buch zu einer Haartolle und für Theseus verwandelt es sich in eine Klammer, die das Obergewand zusammenhält. Alles sei hier aber nicht verraten, denn Überraschungen gehören mit zum Spass! Jedenfalls missbraucht Romain Dardoles seinen Racine auf lustvollste Weise und in Einklang mit der Rahmenhandlung... Darin liegt auch die Stärke dieses Theaterstücks: Der Spassmacher Romain Daroles mokiert sich zwar unverblümt über die Heldin und ihre Dauerkrise, zeigt sich aber auch voller Bewunderung und Leidenschaft für die Tragödie, die er in- und auswendig kennt. Rundum Theater vom Feinsten.
(Marie-Pierre Genecand)