:replace=`
== `:replace=`page== `

Ein Kondensat in sieben Aufführungen

Tobias Gerosa, für das Kuratorium

26.03.2020—-
-

Wie das Schweizer Theaterschaffen abbilden? Das 7. Schweizer Theatertreffen hätte in Chur und Liechtenstein mit seiner Auswahl gezeigt, wie das möglich ist.

Das Schweizer Theatertreffen wagt die Quadratur des Kreises. Aus rund 200 so enthusiastisch und interessiert wie kritisch betrachteten Theaterabenden wurden neun ausgewählt. Alle Premieren zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2019 kamen infrage. Allerdings stammen diese aus drei Sprachregionen und damit auch – man muss es immer wieder betonen – aus völlig unterschiedlichen Produktionssystemen.

Das neunköpfige Kuratorium, bestehend aus Theaterleiter*innen, Regisseur*innen und Kulturjournalist*innen, hat inhaltlich wie ästhetisch herausstechende Produktionen gesucht, Trends verfolgt und diskutiert. So entstand das Geamttableau als Kondensat des Schweizer Theaterjahres 2019.

Es gibt natürlich Kriterien für die Auswahl: Zuoberst steht die künstlerische Qualität. Aktualität, Innovation oder auch, dass eine Produktion Diskussionen auszulösen vermag, sind weitere Argumente. Und natürlich diskutierte das Auswahlgremium auch, wie die Sprachregionen vertreten sein sollen. Ganz einfach, oder?

So entstand das vorliegende Programm. Ein roter Faden – der die Auswahl auch mit den Wurzeln dieser Kunstform verbindet – sind die existenziellen Fragen, die in zeitgenössischer Ausprägung gestellt werden. Und natürlich spielt auch die Frage der Repräsentanz im Theater mit hinein: Wer kommt auf die Bühne, wer bestimmt und für wen wird gespielt?

Es geht beim Theatertreffen um den Klimawandel und das Prekariat, es geht um Migration – und natürlich geht es um die Liebe. Die Ästhetiken und Tonalitäten sind zum Glück so verschieden wie die Bedingungen, unter denen die Produktionen entstanden sind. Wo ausser hier sind sie sonst nebeneinander zu sehen und zu vergleichen?

Jérôme Richer durchbricht die vierte Wand, wenn er sich in «Si les pauvres n’existaient pas, faudrait les inventer» den Armen widmet, die es auch in der reichen Schweiz gibt. Sicher bleiben gerade sie dem Skilift fern, bei dem Paul und Georg in «Der letzte Schnee» noch vergebens warten, während ihnen Jonas Knecht weit mehr als den Schnee (nicht nur) unter den Skiern wegtauen lässt.

Derweil bringt Christoph Frick und sein Theater Klara (zusammen mit der Kaserne Basel und dem Theater Tuchlaube Aarau) ein Stück Weltzusammenhang ins kleine, reiche Land mit der hohen Kokainbelastung in den Abwässern, wozu er das Publikum in die bolivianische Gefängnisstadt «Palmasola» entführt. Und mit Massimo Furlans semidokumentarischen «Les Italiens» kommen stellvertretend neue Schichten auf die Bühne.

Das Schweizer Theatertreffen zeigt auf den Bühnen eine Diversität, die längst Realität ist in unseren vielsprachigen Dörfern und Städten. In «L’amore ist nicht une chose für everybody (Loving kills)» des jungen Tessiner Collettivo Treppenwitz (übrigens vertreten beim Forum Junger Theaterschaffender vor zwei Jahren) trifft das zeitlose Thema der Liebe auf diese vielsprachige Gesellschaft.

Diese Vielsprachigkeit findet sich in vielen Produktionen wieder – wodurch es die ausgewählten Produktionen schafften, dem Theater neue Publikumsschichten zu erschliessen: Auch das ein Kriterium. Wenn dann gerade ein jugendliches Publikum von Tony Kushners «Angels in America» in der ersten Schauspielregie des Choreographen Philippe Saire und seiner Compagnie gefesselt wird, zeigt sich da auch die geschichtliche Dimension des Theaters ganz direkt.

Yana Ross' Tschechow-Überschreibung «Der Kirschgarten» schliesslich führt diese in ihre Traumata zurück. Dabei bleibt kein Wort des Originals übrig, doch die Diagnose von vor hundert Jahren passt erschreckend gut auch aufs Heute.

Sybille Bergs Weiterschreibung von Aristophanes‘ Lysistrata «In den Gärten oder Lysistrata Teil 2» würde das Thema dystopisch weiterdenken bis zur faktischen Selbstabschaffung der Menschheit (oder wenigstens der Männer). Dann würde nur noch die Erinnerung bleiben, wie in Barbara Freys hochmusikalisch und ästhetisch ausgeklügelten «Die Toten» nach James Joyce. Leider können die beiden letztgenannten Produktionen beim Theatertreffen aus technischen Gründen nicht gezeigt werden.

Wie das Schweizer Theaterschaffen abbilden? Wir haben unser Tableau zusammengestellt. Machen Sie sich Ihr Bild. Diskutieren Sie mit. Die sieben gezeigten Produktionen bieten mannigfaltige Anstösse.

Tobias Gerosa, für das Kuratorium

Partner & Kollaborationen 2025